Trauer um einen bedeutenden Journalisten: Hugo Portisch
Wien (OTS) – Hugo Portisch ist tot. Der „Geschichtslehrer der Nation“, der mit seinen Analysen, Dokumentationen und seinen bahnbrechenden Leistungen der Zeitgeschichte wie den ORF-Serien „Österreich I & II“ maßgeblich zu einem differenzierteren Selbstverständnis der Zweiten Republik beigetragen hat, ist am 1. April im Alter von 94 Jahren verstorben.
Der ORF verliert einen seiner klügsten Journalisten, Analytiker des Weltgeschehens und einen der vehementesten Proponenten für einen reformierten Rundfunk, ohne den die Institutionalisierung des unabhängigen Journalismus als wichtige demokratiepolitische Kontrollinstanz jahrelang Chimäre geblieben wäre.
ORF-Generaldirektor Dr. Alexander Wrabetz:„Hugo Portisch war einer der bedeutendsten Journalisten in derGeschichte der Zweiten Republik und eine der prägendsten undwichtigsten Persönlichkeiten in der Geschichte des ORF. Für MillionenÖsterreicherinnen und Österreicher war er über Jahrzehnte der besteVermittler von internationalen und historischen Zusammenhängen. Mitden großen Dokumentationsreihen „ Österreich I & Österreich II“ setzteer Maßstäbe für die Aufarbeitung der österreichischen Zeitgeschichte.In den letzten Jahren hat er „ Österreich I & II“ für ORF IIIüberarbeitet und im Lichte der neuesten historischen Erkenntnisseaktualisiert. Bis zuletzt arbeitete er an einer Dokumentation übersein aktuelles Buch „Russland und wir: Eine Beziehung mit Geschichteund Zukunft“. Als Vater des ORF-Volksbegehrens hat Hugo Portisch diebis heute gültigen Grundlagen eines journalistisch unabhängigen ORFgeschaffen und war durch seine Haltung und sein journalistischesWirken Vorbild für viele Journalistengenerationen. Diese großenVerdienste machen Hugo Portisch unvergessen.“
Der am 19. Februar 1927 in Bratislava geborene Dr. Hugo Portisch studierte in Rekordzeit Geschichte, Germanistik, Anglistik und Publizistik. Bereits 1948 begann er als Redaktionsaspirant der „Wiener Tageszeitung“, zwei Jahre später wurde er Leiter der Außenpolitik. Nach einer Zwischenstation als Leiter des Österreichischen Informationsdienstes in New York begleitete Portisch in einem kurzen, aber historisch bedeutsamen Zeitraum Bundeskanzler Julius Raab als Pressesprecher bei Staatsbesuchen in den USA.
1955 holte ihn Hans Dichand, damals Chefredakteur, als Stellvertreter in den neugegründeten „Kurier“. Nach Dichands Abgang aus der damals größten Tageszeitung wurde Portisch 1958 Chefredakteur.
Portisch war maßgeblicher Unterstützer des erfolgreichen Rundfunkvolksbegehrens 1964, das in die Rundfunkreform unter Generalintendant Gerd Bacher mündete. 1967 wechselte Portisch als Chefkommentator in den ORF. Er wurde eines der Aushängeschilder der Bacher’schen Informationsoffensive. Meilensteine dieser Offensive waren die beiden monumentalen historischen TV-Serien „Österreich I“ und „Österreich II“ von Hugo Portisch und Sepp Riff, die der Aufarbeitung der jungen und jüngsten Geschichte Österreichs galten, insgesamt 43 Folgen, die in vier Büchern gleichnamiger Titel ihren Niederschlag fanden. 2013 brachte er für ORF III eine umfassende Neuauflage beider Dokumentarreihen heraus. Fachkundig unterstützt von Historiker Oliver Rathkolb wurde in monatelanger Arbeit nicht nur das Bildmaterial qualitativ auf den neuesten Stand gebracht, sondern auch Moderationen neu aufgenommen und inhaltliche Details ergänzt. Herausgebracht als DVD-Editionen wurden die Filme mit Platin bzw. Gold ausgezeichnet.
Ende der achtziger Jahre blickte Portisch – zusammen mit Henry Kissinger – in einer großen, in 32 Ländern ausgestrahlten Dokumentation auf den „Zweiten Weltkrieg“ zurück. Anfang der Neunziger beschäftigte sich Portisch in einem Vierteiler („Hört die Signale“) mit Aufstieg und Fall des Sowjetkommunismus. Auch dieser Mehrteiler wurde 2014 für ORF III anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Falls des Eisernen Vorhangs inhaltlich und technisch neu überarbeitet und um aktuelle politische Entwicklungen in Russland einschließlich der Ukrainekrise ergänzt.
Hugo Portisch widmete sich aber nicht nur der Geschichtsaufarbeitung, wie etwa in der fünfteiligen Reihe „Schauplätze der Zukunft“, in der er sich mit der Zukunft der Arbeit beschäftigte, seine Hochglanz-Porträts über die Supermächte USA, Russland und China setzten sich ebenso mit Zukünftigem auseinander – meist vor einem Millionenpublikum.
Im „Gedankenjahr 2005“ lieferte er mit der vierteiligen Reihe „Die Zweite Republik – Eine unglaubliche Geschichte“ einen großen Reichweitenerfolg.
Im Zuge des Senderstarts von ORF III nahm Hugo Portisch seine Tätigkeit für den öffentlichen Rundfunk neu auf und gestaltete im Rahmen der „zeit.geschichte“ neben seinen Aufarbeitungen der bereits erwähnten Reihen „Österreich I“, „Österreich II“ und „Hört die Signale“ zahlreiche (mehrteilige) Dokumentationen, die das Geschichtsbewusstsein Österreichs maßgeblich prägten. Darunter die dreiteilige Verfilmung seiner Biografie „Aufregend war es immer“ im Jahr 2017 anlässlich Portischs 90. Geburtstags sowie 2018 die vierteilige ORF-III-Dokumentarreihe „Hugo Portisch – Die Welt und wir“, in der sich der langjährige Chefkommentator des ORF den Großmächten der Weltpolitik – USA, Russland, China und Europa – widmete und deren politische Entwicklungen in den vergangenen Jahrzehnten rekapitulierte. 2019 ergründete Portisch für ORF III anlässlich der EU-Wahl in einer vierteiligen Dokureihe „Die Geburt Europas“. Bis zuletzt arbeitete Portisch für ORF III an einer weiteren, zweiteiligen Dokumentation, die sich, basierend auf seinem im September 2020 veröffentlichten Buch „Russland und wir“ mit den Verbindungen zwischen Russland und Österreich beschäftigt und die bewegte Geschichte des Landes mit reichem Wissen und aus persönlichem Erleben darstellt. Die Dokumentation soll unter der Regie von Kurt Mayer posthum fertiggestellt werden und 2021 dem ORF-III-Publikum präsentiert werden.
Für seine journalistischen Leistungen erhielt Portisch als einer von wenigen Journalisten zweimal die Goldene Kamera, zweimal den Fernsehpreis der Österreichischen Volksbildung, dreimal den Fernsehpreis Romy, den Axel-Corti-Volksbildungspreis, den Toleranzpreis des österreichischen Buchhandels, den Österreichischen Staatspreis, den Dr.-Karl-Renner-Preis für Publizistik, den Theodor-Innitzer-Preis für den wissenschaftlichen Film und den Dr.-Karl-Renner-Preis der Stadt Wien in Anerkennung seines Beitrags zur politischen Bildung und kritisch und mediendidaktisch aufbereiteten Zeitgeschichte. 2011 wurde er zudem mit dem Concordia-Publizistikpreis für sein Lebenswerk geehrt.